Veröffentlicht am März 15, 2024

Für gestresste High-Performer liegt der Schlüssel zur Regeneration nicht in der Sportart, sondern in der richtigen Reiz-Dosis für das Nervensystem.

  • Intensive Workouts können den Cortisolspiegel weiter erhöhen, während moderate Bewegung ihn nachweislich senkt.
  • Echte Erholung ist ein aktiver Prozess, der auf die Beruhigung des Nervensystems abzielt, nicht auf maximale Verausgabung.

Empfehlung: Verlagern Sie Ihren Fokus von reiner Leistungsmaximierung im Sport hin zu gezielter Regeneration, um Ihre Stressresistenz nachhaltig zu steigern.

Für viele leistungsorientierte Menschen ist Sport das Mittel der Wahl, um den Kopf freizubekommen und Stress abzubauen. Man schnürt die Laufschuhe für eine harte Joggingrunde oder rollt die Matte für ein intensives Power-Yoga-Workout aus – in der Erwartung, sich danach erfrischt und entlastet zu fühlen. Doch was, wenn das Gegenteil eintritt? Wenn man sich nach dem Training noch erschöpfter, gereizter und mental überladener fühlt? Dieser paradoxe Effekt ist ein weitverbreitetes Problem bei High-Performern, die ihre „Mehr ist mehr“-Mentalität aus dem Job unbewusst auf ihre Freizeit übertragen.

Die gängigen Ratschläge lauten oft, man müsse sich nur „richtig auspowern“, um Stresshormone loszuwerden. Die Debatte scheint sich auf eine simple Wahl zu beschränken: hochintensives Intervalltraining (HIIT) für die schnelle Entladung oder Yoga für die sanfte Dehnung. Doch diese Sichtweise greift zu kurz und ignoriert den entscheidenden Faktor: die Reaktion unseres Nervensystems. Der Denkfehler liegt nicht in der Wahl zwischen Joggen oder Yoga, sondern in der Annahme, dass jede Form von Sport automatisch regenerativ wirkt.

Dieser Artikel bricht mit dem Mythos der reinen Verausgabung. Wir werden beleuchten, warum für einen bereits gestressten Körper eine geringere Intensität oft der weitaus effektivere Weg ist, um das Stresshormon Cortisol zu regulieren. Es geht darum, Sport nicht als weitere Leistungsdisziplin zu betrachten, sondern als ein Werkzeug zur gezielten Steuerung unseres autonomen Nervensystems. Anstatt Ihren Körper weiter unter Druck zu setzen, lernen Sie, ihm durch die richtige Art von Bewegung die Signale zu senden, die er für eine tiefe Regeneration wirklich braucht.

Um zu verstehen, wie Sie Bewegung gezielt für Ihre Erholung einsetzen können, gliedert sich dieser Artikel in verschiedene Aspekte der Stressregulation durch Sport. Die folgende Übersicht führt Sie durch die entscheidenden Mechanismen und praktischen Anwendungen.

Warum ist moderates Gehen für das Nervensystem oft besser als ein HIIT-Workout?

Für einen Organismus, der bereits unter Hochdruck läuft, ist ein hochintensives Training wie ein weiteres Meeting im Terminkalender: ein zusätzlicher Stressor. HIIT-Workouts treiben den Puls in die Höhe und aktivieren massiv den Sympathikus, den „Kampf-oder-Flucht“-Teil unseres Nervensystems. Dies führt zu einer kurzfristigen, aber starken Ausschüttung von Cortisol. Für einen entspannten Körper ist das ein trainierbarer Reiz, für einen chronisch gestressten Körper ist es oft nur Öl ins Feuer.

Im Gegensatz dazu wirkt moderate, rhythmische Bewegung wie zügiges Gehen, vor allem in der Natur, direkt auf den Gegenspieler: den Parasympathikus. Dieser ist für Ruhe, Verdauung und Regeneration zuständig. Anstatt das System weiter hochzufahren, signalisiert langsames Gehen dem Gehirn, dass die Gefahr vorüber ist und es in den Erholungsmodus schalten kann. Eine Studie der Universität Michigan zeigte, dass bereits nach 20-30 Minuten Spaziergang in der Natur der Cortisolspiegel messbar sinkt.

Wie Prof. Martin Merkel vom Endokrinologikum Hamburg betont: „Wer seinen Cortisolspiegel senken will, muss für weniger Stress in seinem Leben sorgen. Durch Sport können wir Stresshormone abbauen. Dazu reicht es schon, wenn wir uns einfach nur bewegen.“ Die richtige Reiz-Dosis ist hier entscheidend. Moderates Gehen ist eine niedrige Dosis, die das System reguliert, anstatt es zu überfordern.

Person beim meditativen Waldspaziergang auf gewundenem Pfad

Diese visuelle Ruhe eines Waldspaziergangs spiegelt die innere Wirkung wider. Die sich wiederholende Bewegung der Beine, das bewusste Atmen und die natürlichen Reize (Vogelgezwitscher, Blätterrauschen) helfen dem Gehirn, aus dem konstanten Gedankenkarussell auszusteigen und den parasympathischen Zustand zu aktivieren. Für High-Performer ist dies oft eine größere Herausforderung als ein hartes Workout, aber der regenerative Effekt ist ungleich größer.

Es geht also nicht darum, Sport zu meiden, sondern die Intensität an den aktuellen Zustand des Körpers anzupassen. Ein Spaziergang ist kein „verlorenes“ Training, sondern eine hochwirksame Maßnahme zur Stressregulation.

Wann ist ein Rest-Day wichtiger für den Muskelaufbau als das Training selbst?

Muskelwachstum findet nicht während des Trainings statt, sondern in den Pausen danach. Dieses Prinzip der Superkompensation ist vielen Sportlern bekannt. Doch für chronisch gestresste High-Performer bekommt diese Regel eine noch tiefere Bedeutung. Training ist ein kataboler, also abbauender Prozess. Es erzeugt Mikroverletzungen im Muskel, die der Körper in der Ruhephase repariert und den Muskel dabei stärker wiederaufbaut. Der entscheidende Gegenspieler dieses anabolen (aufbauenden) Prozesses ist Cortisol.

Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel, wie er bei chronischem Stress üblich ist, wirkt selbst katabol. Er signalisiert dem Körper, Energie aus allen verfügbaren Quellen zu mobilisieren – auch aus Muskelprotein. Sportwissenschaftler bestätigen, dass dauerhaft erhöhtes Cortisol den Muskelaufbau blockiert und sogar zu chronischen Entzündungen führen kann. Wenn Sie also trotz regelmäßigem Training keine Fortschritte sehen oder sich ständig erschöpft fühlen, könnte die Ursache ein Mangel an echter Regeneration sein, verstärkt durch zu viel Stress.

Ein Rest-Day ist in diesem Zustand mehr als nur eine Trainingspause. Er ist eine aktive Intervention, um dem Cortisolspiegel die Chance zu geben, zu sinken und dem Körper die hormonelle Umgebung zu schaffen, die er für Reparatur und Wachstum benötigt. Ohne diese Phase wird das nächste Training nicht auf einen erholten, sondern auf einen bereits geschwächten und entzündeten Muskel treffen. Das Ergebnis ist kein Aufbau, sondern ein weiterer Abbau und ein erhöhtes Verletzungsrisiko.

Langfristig führt regelmäßiges Training mit ausreichenden Ruhephasen zu einer besseren Stressresistenz. Der Körper lernt, auf Belastungsreize mit einer geringeren Ausschüttung von Stresshormonen zu reagieren. Ein Rest-Day ist also keine verpasste Gelegenheit, sondern die wichtigste Trainingseinheit der Woche für jeden, der unter Dauerstrom steht.

Denken Sie an den Rest-Day nicht als Faulheit, sondern als strategische Investition in Ihre langfristige Leistungsfähigkeit und Gesundheit.

Warum bringt Podcast-Hören beim Laufen Ihren Kopf nicht zur Ruhe?

Für viele High-Performer ist die Idee, „nur“ zu laufen, fast unerträglich. Jede Minute muss effizient genutzt werden, also wird der Lauf mit einem lehrreichen Podcast oder einem Hörbuch kombiniert. Man optimiert die Zeit, lernt etwas Neues und tut gleichzeitig etwas für den Körper – eine Win-Win-Situation, so scheint es. Aus neurobiologischer Sicht ist dies jedoch ein Trugschluss, wenn das Ziel mentale Entspannung ist.

Unser Gehirn verfügt über ein sogenanntes „Default Mode Network“ (DMN). Dieses Netzwerk wird aktiv, wenn wir keiner externen, aufgabenorientierten Tätigkeit nachgehen – also beim Tagträumen, Nachdenken oder eben beim monotonen Laufen ohne Ablenkung. Das DMN ist entscheidend für die Selbstreflexion, das Verarbeiten von Erlebnissen und die kreative Problemlösung. Es ist quasi der mentale Aufräumdienst des Gehirns. Wenn wir diesen Zustand durch ständigen externen Input wie einen Podcast blockieren, verwehren wir unserem Gehirn genau die Phase, die es zur mentalen Regeneration bräuchte.

Moderates, lockeres Laufen im Wohlfühltempo, bei dem man sich auf den Rhythmus der eigenen Schritte und die Umgebung konzentriert, hat einen fast meditativen Effekt. Diese Kombination aus rhythmischer Bewegung und dem bewussten Erleben der Natur oder der Umgebung aktiviert die Produktion von Endorphinen („Glücksstoffen“) und senkt den Cortisolspiegel. Sie geben Ihrem Kopf die Erlaubnis, abzuschweifen und unbewusst zu verarbeiten. Ein Podcast hingegen zwingt das Gehirn in einen aktiven Zuhör- und Verarbeitungsmodus. Es ist kognitive Arbeit, keine Erholung.

Wenn das Ziel Ihres Laufs also die Leistungssteigerung für einen Wettkampf ist, mag Ablenkung hilfreich sein. Wenn das Ziel jedoch mentaler Stressabbau ist, lassen Sie die Kopfhörer zu Hause oder schalten Sie sie in den Flugmodus. Schenken Sie Ihre Aufmerksamkeit dem Geräusch Ihrer Füße auf dem Boden, dem Gefühl des Windes auf der Haut und den Farben Ihrer Umgebung. Nur so kann Ihr Gehirn wirklich zur Ruhe kommen.

Echte mentale Erholung bedeutet nicht, das Gehirn mit neuen Informationen zu füllen, sondern ihm den Raum zu geben, sich selbst zu leeren und zu ordnen.

Wie entlastet das Wasser Ihre Gelenke und Psyche gleichzeitig?

Schwimmen ist eine der am häufigsten empfohlenen Sportarten zum Stressabbau, und das aus gutem Grund. Die einzigartigen Eigenschaften des Wassers bieten eine doppelte Entlastung – für den Körper und den Geist. Physisch reduziert der Auftrieb im Wasser das Körpergewicht um etwa 90 %. Das bedeutet eine massive Entlastung für Gelenke, Sehnen und Bänder. Für Menschen, die durch langes Sitzen oder intensives Training unter Gelenkbeschwerden leiden, ist Schwimmen eine ideale Form der aktiven Regeneration.

Doch die psychologische Wirkung ist mindestens ebenso bedeutsam. Das Eintauchen ins Wasser dämpft externe Reize. Geräusche werden dumpfer, visuelle Eindrücke verschwimmen, und das Gefühl des Wassers auf der Haut hat eine beruhigende, fast meditative Qualität. Der gleichmäßige Druck des Wassers, die sogenannte hydrostatische Kompression, kann zudem ähnlich wie eine sanfte Massage wirken und das Nervensystem beruhigen. So empfiehlt auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie Schwimmen als moderate Sportart zur Senkung des Stresslevels.

Die rhythmische, zyklische Bewegung des Schwimmens in Kombination mit einer kontrollierten Atmung fördert einen Zustand der Achtsamkeit. Man konzentriert sich unweigerlich auf den eigenen Körper und den Moment, was das Gedankenkarussell effektiv unterbricht. Es ist eine Form der Bewegung, die sowohl den Sympathikus (durch die Anstrengung) als auch den Parasympathikus (durch Rhythmus und Wasser-Druck) anspricht und so zu einer ausbalancierten Regulation des Nervensystems beiträgt.

Schwimmer gleitet ruhig unter Wasser mit Luftblasen

Wie das Bild andeutet, ist der Aufenthalt im Wasser eine Rückkehr zu einem Zustand der Schwerelosigkeit und Ruhe. Es ist ein abgeschirmter Raum, in dem die Belastungen des Alltags buchstäblich an der Oberfläche bleiben. Diese Kombination aus körperlicher Entlastung und mentaler Abschirmung macht Schwimmen zu einem unschätzbar wertvollen Werkzeug für jeden, der nach echter Erholung sucht.

Egal ob Sie Bahnen ziehen oder sich einfach nur treiben lassen – das Wasser bietet einen einzigartigen Raum für physische und mentale Regeneration.

Kaltwasserbecken nach der Sauna: Warum ist der Kälteschock gesund für das Immunsystem?

Der Sprung ins eiskalte Tauchbecken nach einem heißen Saunagang fühlt sich zunächst wie ein brutaler Schock für den Körper an – und genau das ist er auch. Doch dieser kurze, intensive Kältereiz ist ein Paradebeispiel für das Prinzip der Hormesis: ein kurzer, kontrollierter Stressor, der den Körper nicht schwächt, sondern langfristig stärkt. Anstatt chronischen, unkontrollierbaren Stress zu erzeugen, trainiert dieser Kälteschock das Stressreaktionssystem des Körpers.

Wenn der Körper der Kälte ausgesetzt ist, verengen sich die Blutgefäße schlagartig, der Blutdruck steigt, und der Körper schüttet Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus. Das klingt zunächst kontraproduktiv, aber der entscheidende Punkt ist die Kürze des Reizes. Unmittelbar nach dem Verlassen des kalten Wassers reagiert der Körper mit einer Gegenregulation: Die Gefäße weiten sich, eine wohlige Wärme durchströmt den Körper, und das Nervensystem schaltet stark in den parasympathischen, also den Erholungsmodus, um. Der kurzfristig erhöhte Cortisolspiegel sinkt danach oft unter das Ausgangsniveau.

Dieser Prozess trainiert die Flexibilität der Blutgefäße und die Fähigkeit des Körpers, schnell zwischen Anspannung (Sympathikus) und Entspannung (Parasympathikus) umzuschalten. Langfristig macht dieser kontrollierte Stress den Organismus widerstandsfähiger gegen verschiedene Belastungen und stärkt das Immunsystem. Der Körper lernt, auf Stressoren angemessen und effizient zu reagieren, anstatt in einer chronischen Alarmbereitschaft zu verharren.

Die gezielte Anwendung von Kälte- und Wärmereizen ist eine seit Jahrhunderten bewährte Methode zur Stärkung der Resilienz. Die folgende Tabelle aus einer Analyse der Techniker Krankenkasse verdeutlicht die unterschiedliche Wirkung verschiedener Methoden.

Wirkung verschiedener Entspannungsmethoden auf Cortisol
Methode Cortisolwirkung Zeitrahmen
Kaltwasserbad Akute Erhöhung, dann starke Senkung 15-30 Min
Saunagang Moderate Senkung 30-60 Min
Wechselduschen Trainiert Stressregulation 5-10 Min

Der bewusste Umgang mit kurzen, intensiven Reizen ist somit eine effektive Strategie, um die allgemeine Widerstandsfähigkeit des Körpers zu trainieren und die Regenerationsfähigkeit zu verbessern.

Atemübungen oder Scrollen: Was senkt den Cortisolspiegel in 5 Minuten wirklich?

In einer kurzen Pause greifen die meisten Menschen instinktiv zum Smartphone. Das Scrollen durch soziale Medien oder Nachrichten-Feeds fühlt sich wie eine mentale Auszeit an, ist aber für das Gehirn das genaue Gegenteil. Es ist eine Flut von unstrukturierten Informationen, sozialen Vergleichen und potenziell alarmierenden Nachrichten, die das sympathische Nervensystem aktiv halten und den Cortisolspiegel eher erhöhen als senken. Die wirklich effektive 5-Minuten-Intervention zur Stressreduktion ist weitaus simpler und immer verfügbar: die bewusste Atmung.

Eine der schnellsten Methoden zur Aktivierung des Parasympathikus ist der sogenannte „physiologische Seufzer“. Neurowissenschaftliche Studien, wie sie unter anderem von Forschern der Stanford University populär gemacht wurden, belegen, dass diese spezielle Technik den Vagusnerv, den Hauptnerv des Parasympathikus, innerhalb von Minuten aktivieren kann. Der Vagusnerv sendet vom Gehirn Signale an den Körper, um Herzfrequenz und Blutdruck zu senken und die Entspannung einzuleiten.

Der physiologische Seufzer imitiert das natürliche Atemmuster des Körpers vor dem Einschlafen oder nach dem Weinen und maximiert den Gasaustausch in der Lunge. Indem Sie die Ausatmung bewusst verlängern, stimulieren Sie den Vagusnerv direkt und signalisieren Ihrem Körper, dass es Zeit ist, sich zu beruhigen. Im Gegensatz zum Scrollen, das den Geist mit externen Reizen beschäftigt, richtet die Atemübung die Aufmerksamkeit nach innen und unterbricht den Stresszyklus aktiv.

Ihr 5-Minuten-Plan zur schnellen Stressreduktion: Die Atemtechnik

  1. Setzen oder stellen Sie sich aufrecht hin. Atmen Sie kurz und kräftig durch die Nase ein und setzen Sie dann, ohne auszuatmen, einen zweiten, kleineren Atemzug durch die Nase obendrauf, um die Lunge vollständig zu füllen.
  2. Atmen Sie dann langsam und so lange wie möglich kontrolliert durch den Mund wieder aus. Die Ausatmung sollte deutlich länger sein als die Einatmung.
  3. Wiederholen Sie diesen Zyklus 4-5 Mal. Sie sollten eine sofortige beruhigende Wirkung spüren.
  4. Fokus auf die verlängerte Ausatmung legen, denn sie ist der Schlüssel zur Aktivierung des Vagusnervs und zur Senkung des Cortisolspiegels.
  5. Integrieren Sie diese Übung in Ihren Alltag: vor einem wichtigen Meeting, in der Kaffeepause oder wann immer Sie eine schnelle „Reset“-Taste benötigen.

Ersetzen Sie das unbewusste Scrollen durch bewusstes Atmen und geben Sie Ihrem Nervensystem die Chance, innerhalb von Minuten vom Stress- in den Ruhemodus zu wechseln.

Darf man mit Muskelkater trainieren oder verhindert das den Aufbau?

Die Frage, ob man mit Muskelkater trainieren sollte, ist ein Klassiker unter Sportlern und für High-Performer oft eine Gewissensfrage. Die Antwort ist, wie so oft, nicht schwarz-weiß, sondern hängt von der Intensität des Schmerzes ab. Muskelkater ist ein Zeichen für Mikroverletzungen in der Muskulatur und die damit einhergehende Entzündungsreaktion – ein notwendiger Teil des Anpassungsprozesses. Ihn komplett zu ignorieren, kann jedoch den Aufbauprozess stören und das Verletzungsrisiko erhöhen.

Ein leichter Muskelkater ist oft kein Hindernis. Sanfte Bewegung, sogenannte aktive Erholung wie leichtes Radfahren oder Schwimmen, kann die Durchblutung fördern und den Abtransport von Stoffwechselprodukten beschleunigen. Ein hartes Training derselben Muskelgruppe würde die Entzündung jedoch verstärken und die feinen Reparaturprozesse stören. Bei starkem Muskelkater ist ein kompletter Ruhetag die einzig sinnvolle Option, um dem Körper die nötige Zeit zur Heilung zu geben.

Die Entscheidung wird noch kritischer, wenn man den Faktor Stress berücksichtigt. Wie im The Loft Fitness Blogbeitrag „Training & Stress“ treffend formuliert wird:

Ein erhöhter Cortisolspiegel stört den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus. Du schläfst schlechter ein, wachst häufiger auf und fühlst dich am Morgen erschöpft. Schlafmangel wiederum treibt Cortisol weiter nach oben.

– The Loft Fitness, Training & Stress: Warum Cortisol deinen Fortschritt bremst

Ein starker Muskelkater ist ein physischer Stressor, der, wenn er ignoriert wird, den Cortisolspiegel oben hält. Dies beeinträchtigt die Schlafqualität, welche die wichtigste Regenerationsphase ist. So entsteht ein Teufelskreis aus schlechtem Schlaf, hohem Cortisol und unzureichender Muskelreparatur.

Die folgende Tabelle bietet eine einfache Orientierungshilfe für den Umgang mit Muskelkater:

Trainingsempfehlungen bei verschiedenen Muskelkater-Stufen
Schmerzskala (1-10) Empfehlung Begründung
1-3 Leichtes Training möglich (aktive Erholung) Aktive Erholung fördert die Durchblutung und den Heilungsprozess.
4-6 Andere Muskelgruppe trainieren oder sehr leichte Aktivität Vermeidet, die lokale Entzündung und den Stress für den Muskel zu verstärken.
7-10 Kompletter Rest-Day oder nur sanfte Mobilität Minimiert die Verletzungsgefahr und gibt dem Körper Zeit für die Reparatur.

Hören Sie auf Ihren Körper: Ein starker Muskelkater ist eine klare Aufforderung zur Pause. Ihn zu respektieren, ist der schnellste Weg zu mehr Fortschritt und weniger Stress.

Das Wichtigste in Kürze

  • Echter Stressabbau ist eine Frage der Nervensystem-Regulation, nicht der reinen Kalorienverbrennung.
  • Moderate Intensität (Gehen, Zone 2) senkt den Cortisolspiegel oft effektiver als hochintensive Workouts, die zusätzlichen Stress erzeugen können.
  • Regeneration durch Pausen, Schlaf oder gezielte Reize (z.B. Kälte) ist ein aktiver und entscheidender Teil des Trainingsprozesses, kein Versäumnis.

Zone 2 Training: Warum müssen Sie langsamer laufen, um schneller und gesünder zu werden?

Für leistungsorientierte Läufer klingt es paradox: um schneller zu werden, soll man langsamer laufen. Doch hinter diesem Ratschlag verbirgt sich einer der effektivsten Ansätze für nachhaltige Leistungssteigerung und Stressmanagement: das Zone 2 Training. Dies ist ein Training bei sehr niedriger Intensität, bei dem man sich noch mühelos unterhalten kann (ca. 60-70 % der maximalen Herzfrequenz). Der physiologische Nutzen ist enorm, insbesondere für das Stresssystem.

Während hochintensives Training primär Kohlenhydrate als schnelle Energiequelle nutzt, trainiert Zone 2 den Körper darauf, effizient Fett zu verbrennen. Auf zellulärer Ebene passiert dabei etwas Erstaunliches: Das Training in dieser Zone stimuliert das Wachstum und die Effizienz der Mitochondrien, der Kraftwerke unserer Zellen. Eine Studie zeigte eine beeindruckende 55%ige Zunahme der Mitochondriengröße nach nur sechs Wochen regelmäßigem Zone 2 Training. Mehr und bessere Mitochondrien bedeuten eine höhere aerobe Kapazität, weniger Ermüdung und eine bessere Fähigkeit des Körpers, mit oxidativem Stress umzugehen.

Für das Stressmanagement ist Zone 2 Training ideal, weil es das Herz-Kreislauf-System trainiert, ohne das Nervensystem übermäßig zu belasten und den Cortisolspiegel in die Höhe zu treiben. Es verbessert die Grundlagenausdauer, die das Fundament für jede höhere Leistung ist. Ein Großteil des Trainings von Profi-Ausdauersportlern findet genau in dieser Zone statt.

Das bedeutet jedoch nicht, dass hohe Intensitäten nutzlos sind. Die optimale Strategie ist oft eine Kombination, typischerweise nach der 80/20-Regel: 80 % des Trainings bei niedriger Intensität (Zone 2) und 20 % bei hoher Intensität. Diese Balance sorgt für den Aufbau einer soliden aeroben Basis bei gleichzeitigem Setzen von Spitzenreizen für die maximale Leistungsfähigkeit, ohne das System chronisch zu überlasten. Für den gestressten High-Performer bedeutet das: Der Großteil der sportlichen Aktivität sollte sich regenerativ anfühlen.

Beginnen Sie noch heute damit, Ihren Fokus von reiner Leistung auf intelligente Regeneration zu verlagern. Analysieren Sie Ihr Training nicht nach verbrannten Kalorien, sondern nach der Wirkung auf Ihr Nervensystem und Ihre zelluläre Gesundheit. Das ist der nachhaltige Weg zu mehr Leistungsfähigkeit und weniger Stress.

Geschrieben von Lars Nielsen, Diplom-Sportwissenschaftler und Physiotherapeut mit Fokus auf funktionelles Training und Rehabilitationsmedizin. Betreut seit 12 Jahren Leistungssportler und ambitionierte Amateure bei der Leistungssteigerung.