Veröffentlicht am März 11, 2024

Täglich ins Depot zu schauen, während die Kurse fallen, ist mehr als nur nervenaufreibend – es ist ein psychologischer Trigger, der Sie zu teuren Fehlern wie Panikverkäufen verleitet. Dieser Artikel zeigt, dass das bewusste Wegschauen keine Schwäche, sondern eine strategische Stärke ist. Sie lernen, wie Sie die Mechanismen der Verhaltensökonomie und die Mathematik des Cost-Average-Effekts nutzen, um einen Crash nicht nur zu überleben, sondern ihn aktiv in einen Vorteil für Ihr langfristiges Vermögen zu verwandeln.

Das flaue Gefühl im Magen, wenn die Börsen-Ticker rot leuchten. Der fast zwanghafte Drang, die Depot-App zu öffnen, nur um zu sehen, wie viel tiefer die Zahlen gefallen sind. Kommt Ihnen das bekannt vor? In Zeiten eines Börsencrashs oder starker Korrekturen verfallen viele Anleger in diesen Teufelskreis aus Angst und Kontrollwahn. Die gängigen Ratschläge – „Ruhe bewahren“, „langfristig denken“ – klingen dann oft hohl und helfen wenig gegen die akute Panik, das hart erarbeitete Geld schmelzen zu sehen.

Doch diese Ratschläge übersehen den Kern des Problems. Es geht nicht nur darum, die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten. Die eigentliche Gefahr liegt im Akt des Beobachtens selbst. Jeder Blick ins rote Depot ist eine neue Dosis psychologischen Gifts, das unsere rationalen Entscheidungen untergräbt und uns anfällig für die teuersten Fehler macht, die ein Anleger begehen kann. Die ständige Konfrontation mit Verlusten aktiviert tiefsitzende kognitive Verzerrungen, die uns zum Handeln zwingen, obwohl Nichtstun die weitaus klügere Strategie wäre.

Was wäre, wenn die Lösung nicht darin bestünde, Ihre Emotionen besser zu kontrollieren, sondern das System zu ändern, das diese Emotionen überhaupt erst auslöst? Dieser Artikel vertritt eine kontraintuitive, aber mächtige These: Im Crash ist das bewusste Ignorieren Ihres Depots – eine Form der strategischen Ignoranz – die aktivste und profitabelste Entscheidung, die Sie treffen können. Wir werden nicht nur die psychologischen Fallen aufdecken, die Ihnen das tägliche Hinsehen stellt, sondern auch die unumstößliche Mathematik dahinter beleuchten, wie fallende Kurse durch kluge Automatisierung zu Ihrem größten Verbündeten werden.

Wir werden gemeinsam analysieren, wie Sparpläne einen Bärenmarkt in eine Kaufgelegenheit verwandeln, wie Sie die Emotionen der Masse als Kontraindikator nutzen und wie Profis Volatilität nicht fürchten, sondern als Werkzeug begreifen. Machen Sie sich bereit, Ihre Perspektive auf Börsencrashs für immer zu verändern und passive Angst in eine bewusste, gewinnbringende Strategie umzuwandeln.

Um diese Konzepte systematisch zu verstehen, führt dieser Leitfaden Sie durch die entscheidenden Aspekte des Anlegerverhaltens und der Marktmechanik in Krisenzeiten. Die folgende Übersicht zeigt die Stationen unserer Reise von der reinen Theorie hin zu konkreten, umsetzbaren Strategien.

Wie verwandelt der Sparplan fallende Kurse mathematisch in Ihren Vorteil?

Der vielleicht stärkste psychologische und mathematische Schutzschild gegen Crash-Panik ist der simple ETF-Sparplan. Seine wahre Kraft entfaltet er aber erst, wenn man aufhört, ihn als reinen Sparvorgang zu sehen, und ihn stattdessen als automatisierten antizyklischen Einkaufsroboter begreift. Das Prinzip dahinter ist der Cost-Average-Effekt (Durchschnittskosteneffekt). Wenn Sie jeden Monat einen festen Betrag, sagen wir 200 Euro, investieren, kaufen Sie bei hohen Kursen automatisch weniger Anteile und bei niedrigen Kursen automatisch mehr. Im Crash, wenn die Preise am Boden liegen, sammelt Ihr Sparplan also aggressiv günstige Anteile ein.

Dies senkt Ihren durchschnittlichen Einkaufspreis pro Anteil über die Zeit. Wenn der Markt sich dann erholt, was er historisch betrachtet immer getan hat, starten Ihre günstig erworbenen Anteile von einem viel niedrigeren Niveau und generieren überproportionale Gewinne. Sie profitieren also direkt von der Talfahrt, ohne eine einzige aktive Entscheidung treffen zu müssen. Das tägliche Schauen ins Depot unterbricht diesen Autopiloten. Es verleitet Sie dazu, den Sparplan auszusetzen – genau dann, wenn er am effektivsten arbeitet.

Fallstudie: Der Corona-Crash 2020 als Beweis

Die Corona-Krise liefert ein perfektes Beispiel für die Macht des Sparplans. Mitte Februar 2020 traf die Pandemie die Börsen hart. Der MSCI World Index verlor innerhalb von nur sechs Wochen rund 34% an Wert. Anleger, die einen Sparplan auf einen MSCI World ETF hatten, konnten fast ein ganzes Jahr lang zu deutlich günstigeren Kursen einkaufen als vor dem Absturz. Selbst wer unglücklicherweise direkt am Höchststand vor dem Crash mit seinem Sparplan begann, sah seine anfänglichen Buchverluste durch die monatlichen Zukäufe zu Tiefstpreisen und die anschließende V-förmige Erholung schnell wieder ausgeglichen und ins Plus gedreht.

Die wichtigste Erkenntnis ist: Ein Sparplan verwandelt die Zeit und die Volatilität in Ihre Verbündeten. Jeder Tag, an dem Sie nicht ins Depot schauen und den Sparplan einfach laufen lassen, ist ein Tag, an dem die kalte, emotionslose Mathematik für Sie arbeitet. Sie betreiben Zeit-Arbitrage: Sie nutzen Ihren langen Anlagehorizont gegen die kurzfristige Panik anderer Marktteilnehmer.

Was sagt Ihnen die „Gier“ der anderen über das aktuelle Risiko im Markt?

Als erfahrener Anleger lernt man, die Emotionen der Masse nicht als ansteckende Krankheit, sondern als wertvolles Datensignal zu betrachten. Warren Buffetts berühmtes Zitat „Sei ängstlich, wenn andere gierig sind, und gierig, wenn andere ängstlich sind“ ist die Essenz des antizyklischen Investierens. Ein hervorragendes Werkzeug, um diese Marktstimmung zu quantifizieren, ist der Fear & Greed Index. Dieser Index misst auf einer Skala von 0 (extreme Angst) bis 100 (extreme Gier) die vorherrschende Emotion am Markt.

Werte nahe 0 signalisieren extreme Panik. Das ist oft der Moment der maximalen Kapitulation, an dem die letzten Optimisten das Handtuch werfen – und paradoxerweise oft der Punkt des größten Potenzials. In solchen Phasen sind die Bewertungen am niedrigsten und die zukünftigen Ertragschancen am höchsten. Umgekehrt deuten Werte nahe 100 auf exzessive Gier und Euphorie hin. Der Markt ist „heiß gelaufen“, die Bewertungen sind hoch und das Rückschlagpotenzial ist enorm. Für einen strategischen Anleger ist ein hoher Gier-Wert ein Warnsignal zur Vorsicht, während ein extremer Angst-Wert ein Signal zum Nachdenken über Zukäufe ist.

Einer der wichtigsten Indikatoren, die in den Fear & Greed Index einfließen, ist der Volatilitätsindex (VIX), auch „Angstbarometer“ genannt. Er misst die erwartete Schwankungsbreite des Marktes für die nächsten 30 Tage. Ein hoher VIX-Wert bedeutet hohe Unsicherheit und Angst – genau das Umfeld, in dem strategische Ignoranz und automatisierte Sparpläne ihre Stärken ausspielen.

VIX Volatilitätsindex als Angstbarometer der Börse dargestellt

Die folgende Tabelle zeigt einige der Schlüsselkomponenten, die zur Berechnung des Fear & Greed Index herangezogen werden. Sie verdeutlicht, wie verschiedene Marktdaten kombiniert werden, um ein umfassendes Stimmungsbild zu zeichnen. Das Verständnis dieser Komponenten hilft Ihnen, die Schlagzeilen und die Panik der Masse objektiv einzuordnen.

Die 7 Indikatoren des Fear & Greed Index
Indikator Was er misst Signal für Angst Signal für Gier
Market Volatility (VIX) Erwartete Preisschwankungen im S&P 500 über die nächsten 30 Tage Steigende Marktvolatilität Niedrige Volatilität
Put/Call Ratio Verhältnis von Verkaufs- zu Kaufoptionen Ein Verhältnis über 1 gilt als bärisch Niedriges Verhältnis
Market Momentum S&P 500 im Vergleich zum 125-Tage-Durchschnitt Index unter diesem Durchschnitt zeigt nervöse Investoren Wachsendes Momentum
Stock Price Breadth Anzahl der 52-Wochen-Hochs vs. Tiefs an der NYSE Mehr Tiefs als Hochs Viel mehr Hochs als Tiefs (bullisches Zeichen)

Wie nutzen Profis die Volatilität, um günstige Einstiegskurse zu finden?

Für den panischen Anleger ist Volatilität ein Synonym für Gefahr und Verlust. Für den professionellen Investor ist sie ein Synonym für Gelegenheit. Profis wissen, dass die wahren Gewinne nicht in ruhigen, stetig steigenden Märkten gemacht werden, sondern in den turbulenten Phasen, in denen die Preise von den fundamentalen Werten abweichen. Sie fürchten die Volatilität nicht; sie nutzen sie systematisch aus. Die Strategie ist dabei verblüffend einfach und baut auf dem bereits bekannten Cost-Average-Effekt auf.

Anstatt bei fallenden Kursen in Schockstarre zu verfallen, haben Profis oft eine vordefinierte „Einkaufsliste“ mit Qualitätsunternehmen oder ETFs, die sie schon immer besitzen wollten, aber zu teuer fanden. Ein Crash ist für sie wie ein exklusiver Schlussverkauf. Sie nutzen die Panik anderer, um sich zu Preisen einzudecken, die weit unter dem langfristigen fairen Wert liegen. Dies kann durch das konsequente Weiterführen eines Sparplans geschehen oder durch gezielte Einmalkäufe in Tranchen, wenn bestimmte, vorher festgelegte Kursniveaus erreicht werden.

Diese Herangehensweise verwandelt Angst in Vorfreude. Anstatt zu hoffen, dass die Kurse nicht weiter fallen, hofft der Profi fast schon auf tiefere Kurse, um seine Positionen noch günstiger ausbauen zu können. Wie die Experten von ExtraETF Research treffend bemerken, ist dies der Kern des Ganzen.

Bei hohen Kursschwankungen und wenn die Kurse längere Zeit sinken, profitieren Anleger besonders vom Cost-Average-Effekt durch mehrere Einmalkäufe oder Sparpläne.

– ExtraETF Research, ExtraETF Finanzportal

Der psychologische Nutzen dieser Denkweise ist immens. Jeder Kursrückgang wird nicht mehr als Verlust wahrgenommen, sondern als Chance, die Gesamtrendite zu steigern. Ein Kursrückgang von 50% bedeutet nicht, dass man die Hälfte seines Geldes verloren hat, sondern dass man für den gleichen Betrag die doppelte Anzahl an Anteilen erhält. Dieser Perspektivwechsel ist entscheidend, um vom passiven, verängstigten Beobachter zum aktiven, strategischen Sammler zu werden.

Wann ist ein gefallenes Messer wirklich ein Schnäppchen und wann Schrott?

Die Börsenweisheit „Greife niemals in ein fallendes Messer“ warnt davor, eine Aktie zu kaufen, die sich im freien Fall befindet. Diese Warnung ist berechtigt, aber unvollständig. Denn es kommt entscheidend darauf an, *welches* Messer fällt. Fällt ein scharfes, hochwertiges Kochmesser vom Küchentisch, das man danach aufheben, polieren und weiterbenutzen kann? Oder fällt ein rostiges, stumpfes Stück Metall, das schon vor dem Fall unbrauchbar war? Die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Szenarien zu unterscheiden, trennt den strategischen Investor vom glücklosen Zocker.

Ein Schnäppchen ist die Aktie eines fundamental gesunden, profitablen Unternehmens mit einem starken Geschäftsmodell und einem Wettbewerbsvorteil (dem „Burggraben“), das in einem allgemeinen Marktabschwung aus reiner Panik mit nach unten gerissen wird. Hier ist der Kursverfall eine Überreaktion des Marktes und nicht auf ein Problem im Unternehmen selbst zurückzuführen. Beispiele sind Marktführer mit starker Marke, Preissetzungsmacht und treuen Kunden. Der Kauf einer solchen Aktie im Crash ist der Kauf von Qualität mit Rabatt.

Schrott hingegen ist die Aktie eines Unternehmens, das bereits vor dem Crash fundamental angeschlagen war. Vielleicht hat es ein veraltetes Geschäftsmodell, hohe Schulden, sinkende Umsätze oder steht im harten Wettbewerb ohne Alleinstellungsmerkmal. Der Crash ist hier oft nur der letzte Nagel im Sarg. Der Kurs fällt nicht nur wegen der allgemeinen Panik, sondern weil der Markt erkennt, dass das Unternehmen in einer Krise nicht überlebensfähig ist. Der Kauf einer solchen Aktie ist der Versuch, ein sinkendes Schiff zu retten – ein Unterfangen, das meist mit Totalverlust endet.

Wie unterscheiden Sie? Schauen Sie nicht auf den Kurs, schauen Sie auf das Unternehmen. Stellen Sie sich einfache Fragen: Verstehe ich, wie dieses Unternehmen Geld verdient? Wird es dieses Produkt oder diese Dienstleistung in 10 Jahren noch geben? Hat es Konkurrenten, die es leicht verdrängen können? Hat es eine solide Bilanz? Ein Investment in einen breit gestreuten ETF (wie den MSCI World) umgeht dieses Problem elegant, da er automatisch in die Gewinner investiert und die Verlierer mit der Zeit an Gewicht verlieren. Wenn Sie aber Einzelaktien kaufen, ist diese Unterscheidung überlebenswichtig.

Warum sind 5 Jahre an der Börse kurzfristig und 15 Jahre sicher?

Einer der häufigsten Denkfehler, der Anleger im Crash in die Knie zwingt, ist eine falsche Wahrnehmung von Zeit. Wenn Ihr Depot innerhalb eines Monats um 30% fällt, fühlen sich diese 30% absolut und endgültig an. Ihr Gehirn interpretiert diesen kurzfristigen Schmerz als dauerhafte Realität. Doch für einen echten Investor sind die Zeiträume, in denen wir denken müssen, radikal anders. Fünf Jahre, die sich im normalen Leben wie eine Ewigkeit anfühlen, sind an der Börse ein kurzfristiger, spekulativer Zeitraum.

Historische Daten globaler Aktienmärkte zeigen ein klares Muster: Auf kurze Sicht ist die Bandbreite möglicher Ergebnisse riesig. Über einen beliebigen Einjahreszeitraum können Sie 40% gewinnen oder 40% verlieren. Selbst über einen Fünfjahreszeitraum gab es historisch Phasen, in denen Anleger mit Verlust ausstiegen (z.B. wer kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 einstieg). In diesen kurzen Zeiträumen sind Sie den Launen des Marktes, den Rezessionen und den schwarzen Schwänen ausgeliefert. Das ist pures Glücksspiel.

Erst ab einem Anlagehorizont von 15 Jahren oder mehr verändert sich das Bild dramatisch. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem breit gestreuten Aktienportfolio (wie dem MSCI World) Geld zu verlieren, sinkt historisch betrachtet auf null. Die kurzfristigen, wilden Schwankungen – die Crashs und die euphorischen Rallyes – mitteln sich über die Zeit aus und übrig bleibt der langfristige, stetige Aufwärtstrend, der durch das globale Wirtschaftswachstum und die Unternehmensgewinne angetrieben wird. Der Lärm der kurzfristigen Volatilität wird von der Melodie des langfristigen Zinseszinseffekts übertönt.

Täglich auf Ihr Depot zu schauen, zwingt Sie in eine kurzfristige Denkweise. Sie erleben jede Schwankung mit und Ihr Gehirn reagiert, als wäre jeder Tag ein entscheidender Moment. Indem Sie den Blick abwenden und sich auf Ihren langfristigen Plan konzentrieren, betreiben Sie, was man als „Zeit-Arbitrage“ bezeichnen könnte: Sie nutzen den einzigen Vorteil, den Sie gegenüber professionellen Daytradern und Algorithmen haben – die Zeit. Sie können es sich leisten, die Stürme auszusitzen, weil Sie wissen, dass Ihr Zielhafen 15 Jahre oder mehr in der Zukunft liegt.

Warum verkaufen 90% der Anleger genau am Tiefpunkt und wie verhindern Sie das?

Es ist ein tragisches, aber immer wiederkehrendes Phänomen an der Börse: Die große Mehrheit der Privatanleger schafft es, genau zum schlechtesten Zeitpunkt zu verkaufen – am Tiefpunkt der Panik, kurz bevor die Erholung einsetzt. Damit zementieren sie ihre Buchverluste in reale, endgültige Verluste. Der Grund dafür liegt nicht in mangelnder Intelligenz, sondern in der menschlichen Psychologie, insbesondere in zwei mächtigen kognitiven Verzerrungen: der Verlustaversion und dem Herdenverhalten.

Verlustaversion beschreibt die Tatsache, dass der Schmerz über einen Verlust etwa doppelt so stark empfunden wird wie die Freude über einen gleich hohen Gewinn. Ein Verlust von 1.000 Euro tut psychologisch viel mehr weh, als ein Gewinn von 1.000 Euro Freude bereitet. Im Crash, wenn das Depot täglich sinkt, wird dieser Schmerz unerträglich. Das Gehirn schreit: „Stopp den Schmerz!“, und der einzige Weg dazu scheint der Verkauf zu sein. Herdenverhalten verstärkt diesen Drang. Wir sehen, dass alle anderen in Panik geraten und verkaufen – Nachrichten, Foren, soziale Medien sind voll davon. Unser Instinkt sagt uns, dass die Herde wissen muss, wohin sie rennt, und wir schließen uns an, um nicht allein zurückzubleiben.

Der einzige Weg, diesen instinktiven, selbstzerstörerischen Impulsen zu entgehen, ist, sich ihnen bewusst zu entziehen. Sie müssen eine Barriere zwischen dem emotionalen Marktumfeld und Ihren rationalen Entscheidungen errichten. Das bedeutet, den Informationsfluss, der die Panik nährt, aktiv zu kappen. Investieren Sie nur Geld, dessen temporären Verlust Sie wirklich aushalten können. Wer wegen Börseneinbrüchen schlaflose Nächte hat, muss seine Strategie überdenken.

Ruhiger Anleger meditiert während Börsensturm ohne Panik

Ein konkreter Plan zur mentalen Abschirmung ist hier unerlässlich. Es geht darum, bewusste Regeln aufzustellen, die in ruhigen Zeiten definiert und in stürmischen Zeiten diszipliniert befolgt werden. Die folgende Checkliste dient als Ihr persönlicher Schutzwall gegen Panikreaktionen.

Ihr Aktionsplan zur mentalen Depot-Hygiene:

  1. Kontaktpunkte identifizieren: Listen Sie alle Kanäle auf, über die Sie Börsennachrichten konsumieren (z.B. Push-Nachrichten der Depot-App, Finanzportale, TV-Nachrichten, Social-Media-Gruppen).
  2. Gewohnheiten auditieren: Protokollieren Sie eine Woche lang ehrlich, wie oft Sie Ihr Depot prüfen oder Finanznachrichten lesen. Erkennen Sie Ihre persönlichen Trigger.
  3. Mit Zielen abgleichen: Fragen Sie sich bei jeder Interaktion: „Dient dieser Informationskonsum meinem langfristigen Anlageziel oder nährt er nur meine kurzfristige Angst?“. Seien Sie radikal ehrlich.
  4. Emotionale Memos erstellen: Schreiben Sie sich in ruhigen Zeiten einen Brief an Ihr „Panik-Ich“. Erinnern Sie sich an Ihre langfristigen Ziele, die Gründe für Ihre Investments und die Mathematik des Cost-Average-Effekts.
  5. Integrationsplan umsetzen: Deaktivieren Sie alle Push-Nachrichten. Legen Sie feste, seltene Termine für einen Depot-Check fest (z.B. einmal pro Quartal). Ersetzen Sie die frei gewordene Zeit durch Weiterbildung über Anlagestrategien, nicht über Tageskurse.

Wie platzieren Sie einen Stop-Loss, ohne durch normale Tagesschwankungen rauszufliegen?

Für viele Anleger scheint ein Stop-Loss die logische Lösung gegen große Verluste zu sein: eine Verkaufsorder, die automatisch ausgelöst wird, wenn ein bestimmter Kurs unterschritten wird. Das Problem: Die meisten setzen ihre Stops viel zu eng. Sie platzieren sie basierend auf einem willkürlichen Prozentsatz (z.B. -10%) oder einem Bauchgefühl. Das Resultat ist, dass sie bei völlig normalen, unbedeutenden Tagesschwankungen aus einer guten Position „rausgekegelt“ werden, nur um dann zuzusehen, wie die Aktie ohne sie wieder steigt.

Profis und aktive Trader verwenden einen dynamischeren Ansatz, der die aktuelle Volatilität einer Aktie berücksichtigt. Ein beliebtes Werkzeug hierfür ist der Average True Range (ATR) Indikator. Der ATR misst die durchschnittliche Handelsspanne (die Schwankungsbreite) einer Aktie über einen bestimmten Zeitraum (z.B. die letzten 14 Tage). Eine Aktie mit einem hohen ATR ist volatiler als eine mit einem niedrigen ATR.

Anstatt eines starren Prozentwertes wird der Stop-Loss als Vielfaches des ATR-Wertes unter dem Einstiegs- oder aktuellen Kurs platziert. Eine gängige Methode ist es, den Stop-Loss als einen mehrfachen Wert des ATR (typisch 1- bis 4-facher Wert) vom Einstiegspreis zu subtrahieren. Zum Beispiel: Wenn eine Aktie bei 100 Euro gekauft wird und einen ATR von 2 Euro hat, könnte ein 2x-ATR-Stop bei 96 Euro (100 – 2*2) platziert werden. Dies gibt der Aktie genug „Luft zum Atmen“ und verhindert, dass normale Schwankungen den Stop auslösen. Der Stop passt sich somit der individuellen Charakteristik der Aktie an.

Fallstudie: ATR-basiertes Stop-Loss Management

Ein ATR-basierter Stop-Loss ist keine „Set-it-and-forget-it“-Lösung, sondern verhält sich dynamisch. Wenn der Kurs steigt, kann der Stop-Loss nachgezogen werden (Trailing Stop), wobei der Abstand immer auf dem aktuellen ATR-Wert basiert. Dies ermöglicht es, Gewinne abzusichern, während der Position weiterhin Raum für Aufwärtsbewegungen gegeben wird. Diese Methode ist besonders bei Day- und Swing-Tradern beliebt, weil sie eine objektive, datenbasierte Regel für das Risikomanagement liefert und emotionale Entscheidungen minimiert. Für den langfristigen Investor ist sie jedoch oft zu aktiv. Hier bleibt die beste Strategie oft, auf Stops ganz zu verzichten und stattdessen auf Zeit und Diversifikation zu setzen.

Ein Stop-Loss ist ein Werkzeug für das Risikomanagement, kein Werkzeug zur Gewinnmaximierung. Für langfristige ETF-Sparpläne ist er in der Regel ungeeignet und sogar kontraproduktiv, da er den Cost-Average-Effekt aushebeln würde. Wenn Sie ihn jedoch für Einzelaktienpositionen nutzen, sollte er immer auf der tatsächlichen Volatilität basieren, nicht auf einem willkürlichen Wunschdenken.

Das Wichtigste in Kürze

  • Psychologie schlägt Analyse: Im Crash ist nicht Ihr Wissen, sondern Ihre emotionale Disziplin entscheidend. Tägliche Depot-Checks füttern die Angst und führen zu teuren Fehlern.
  • Automatisierung ist Ihr Schutzschild: Ein konsequent durchgeführter Sparplan nutzt fallende Kurse mathematisch zu Ihrem Vorteil (Cost-Average-Effekt), indem er automatisch günstig mehr Anteile kauft.
  • Zeit ist Ihr größter Vorteil: Kurzfristige Volatilität ist Lärm. Erst über Anlagehorizonte von 15+ Jahren entfaltet der Aktienmarkt sein volles Potenzial und das Verlustrisiko sinkt drastisch.

Kaufen oder Mieten: Die mathematische Wahrheit jenseits der Emotionen

In einem Crash stehen Anleger vor einer fundamentalen Entscheidung, die man metaphorisch als „Kaufen oder Mieten“ bezeichnen kann. „Mieten“ bedeutet in diesem Kontext, sein Geld an der Seitenlinie zu parken – in Cash auf dem Tagesgeldkonto. Man fühlt sich sicher, zahlt aber eine unsichtbare „Miete“ in Form von verpassten Gelegenheiten und Inflationsverlusten. „Kaufen“ bedeutet, die Liquidität zu nutzen und in den gefallenen Markt zu investieren, also Eigentum an unterbewerteten Vermögenswerten zu erwerben. Die meisten Menschen wählen aus Angst die scheinbar sichere Miete.

Die mathematische Wahrheit ist jedoch, dass die Entscheidung stark vom Marktumfeld abhängt. In konstant steigenden Märkten ist eine große Einmalzahlung (sofort „kaufen“) einem Sparplan überlegen. Doch in volatilen oder fallenden Märkten, wie einem Crash, spielt der Sparplan seine Stärke aus. Eine Simulation zeigt, dass bei Kursschwankungen eine Einmalanlage und ein Sparplan nach fünf Jahren oft ein ähnliches Ergebnis liefern können. Der entscheidende Vorteil des Sparplans ist jedoch der psychologische: Er zwingt zum antizyklischen Handeln und verhindert, dass man aus Angst an der Seitenlinie „mietet“, während die besten Kaufkurse verfügbar sind.

Die Diversifikation über verschiedene Anlageklassen ist ein weiterer Aspekt dieser Entscheidung. Selbst wer global in Aktien investiert, kann das Risiko nicht vollständig eliminieren. Das Halten einer gewissen Cash-Reserve (also das bewusste „Mieten“ eines Teils des Kapitals) ist daher keine schlechte Strategie. Es gibt Ihnen die Flexibilität, in einem extremen Crash gezielt „kaufen“ zu können, wenn die Angst am größten ist. Diese Liquidität ist Ihre strategische Munition. Die Kunst besteht darin, die Balance zu finden: nicht zu viel zu „mieten“ und von der Inflation aufgefressen zu werden, aber genug, um im „Schlussverkauf“ handlungsfähig zu sein.

Letztendlich ist die Entscheidung „Kaufen oder Mieten“ eine Frage der persönlichen Strategie und Risikotoleranz. Der größte Fehler ist jedoch, aus Panik alles zu verkaufen und zu 100% zur „Miete“ überzugehen, genau dann, wenn die „Kaufpreise“ für Qualitäts-Assets am attraktivsten sind. Dies ist der sicherste Weg, langfristig Vermögen zu vernichten.

Um diese Prinzipien in die Praxis umzusetzen, ist der nächste logische Schritt, Ihre eigene Anlagestrategie und Ihre emotionalen Trigger zu analysieren, um einen robusten, persönlichen Plan für den nächsten unvermeidlichen Marktabschwung zu entwickeln.

Geschrieben von Sabine Rothmann, Unabhängige Finanzberaterin (CFA) und Immobilieninvestorin mit Schwerpunkt auf energetische Sanierung und Vermögensaufbau. Über 12 Jahre Erfahrung im Asset Management und privaten Portfolio-Structuring.